Wenn eine Schraube locker ist, hat das Leben einfach mehr Spiel...
Ja, wir vom Naturmilchhof Gartetal sind etwas anders als andere, und deshalb ist auch der Naturmilchhof komplett anders als andere Bauernhöfe.
Der Anfang war an sich schon ein klassischer Fehlstart. Auf dem Höhepunkt des landwirtschaftlichen Strukturwandels mit einem hochverschuldeten kleinen Betrieb in enger Dorflage zu starten war eigentlich ein hoffnungsloses Unterfangen. Dann auch noch auf die absurde Idee zu kommen, diese "kleine Klitsche" auf Bio umstellen zu wollen grenzt schon an Naivität. Aber trotzdem haben wir es getan. Weil wir Lust auf Abenteuer und weil wir eine Vision hatten. Nämlich die Vision, es anders zu machen. Anders als die anderen und dem Trend "Wachsen oder Weichen" zum Trotz.
Vor fast 30 Jahren als die Ökos noch die chaotischen Spinner waren, wurde der konventionelle Füllgrabe-Hof zum Biohof Naturmilchhof Gartetal. Und als überall im Land die Molkereien schlossen und sich zu großen Molkereikonzernen formierten, bauten wir unsere kleine Hofmolkerei. Spätestens jetzt begann das große Gerede im Landkreis: "Füllgrabes haben sich den Gnadenstoß versetzt", hieß es damals.
Dankbar dafür, dass sich ein kleiner Hof gegen die Übermacht der großen aufbäumt, unterstützten uns viele Göttinger Familien bei unserem gewagten Projekt. Sie bemerkten, dass man sich hier Gedanken über gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit macht und finanzierten über den Kauf unserer Produkte die Entstehung vieler weiterer Projekte.
Der nächste große Schritt war der Bau des neuen Kuhstalls, in dem die Tiere nicht mehr angebunden sind und sich endlich auf den großen Weiden um den Stall herum austoben können.
Vom Gedanken beseelt, unsere Tiere und Kunden glücklich zu machen und die uns "heilig" gewordene Natur zu schützen, sprudelten weitere Ideen aus uns heraus. Als es den Begriff " Mutter-gebundene Kälberaufzucht " in der Milchviehhaltung noch nicht gab, entwickelten wir vor fast 25 Jahren ein Konzept, wie man die Kälber innerhalb der Herde an der eigenen Mutter aufziehen kann; sie also nicht voneinander trennen muss. Der Anblick von echten " Spielkälbern " löst bei Stallbesuchern Entzücken, bei Berufskollegen ein stutzendes Zusammenziehen der Augenbrauen aus. Alle, die in unserem Stall mitarbeiten, sind tagtäglich begeistert und auch schon viele Studenten und Doktoranden haben darüber bis heute ihre wissenschaftlichen Arbeiten geschrieben. Inzwischen gibt es immer mehr Biobetriebe, die diese Aufzuchtmethode nutzen. Ja, die Kälber trinken sehr viel Milch. Mehr als bei rationierter Eimertränke. Aber genau das ist es, was die Kälber brauchen. Das haben viele aktuelle Studien nun bestätigt.
Kopfschütteln ernteten wir auch auf einer Messe, als wir nach technischen Lösungen für unsere Idee suchten, aus reiner Gülle Strom zu erzeugen. Viel zu klein und unwirtschaftlich. Sie hatten aber nicht verstanden, dass es uns nicht um Profit, sondern um nachhaltige Stromerzeugung geht. Denn noch nachhaltiger als mit unserer Ökogasanlage kann man Strom kaum erzeugen. Und trotz aller Unkenrufe hat sich die Anlage inzwischen selbst finanziert. Inzwischen gibt es für solche Anlagen auch eine Förderung, wir waren leider der Zeit etwas voraus.
Das " Schlimmste " was wir jedoch jemals gemacht haben, ist die Pflanzung von 1.000 Meter Hecken mitten auf unsere Äcker. Das konnten unsere Berufskollegen schon nicht mehr mit Kopfschütteln ausdrücken. Während alle anderen durch Flurbereinigung ihre Flächen vergrößern, zerstückeln die Gartetaler ihre Äcker durch Hecken. Und das obwohl weder EU - Agrarförderung noch niedersächsische Agrarumweltmaßnahmen dafür eine Förderung zahlen. Solch einen Fall habe man noch nicht gehabt, lautete die Antwort auf unsere Anfrage. Die Stadt Göttingen und die Stiftung Kulturland-Pflege unterstützten uns schließlich bei unserem Vorhaben. Natürlich kann man mit solch einer Maßnahme kein Geld verdienen, aber darum geht es auch hier nicht. Die Natur ist unser Arbeitgeber und da kann man sich durchaus auch einmal dankbar und erkenntlich zeigen und etwas zurückgeben. Zusammen mit den angrenzenden 7 ha Blühflächen (für die Biobetriebe übrigens 25 % weniger Förderung bekommen als andere Betriebe) ist dort ein nahrungsreicher Rückzugsort für zahlreiche Insekten und Vogelarten entstanden.
Aber sicherlich haben Sie sich auch schon einmal über uns gewundert: nämlich als wir als Milchviehbetrieb uns selbst mit der Herstellung unseres Haferdrinks in Frage gestellt haben. Das sehen wir allerdings etwas anders. Wenn Sie unseren Text über den Haferdrink lesen, werden Sie verstehen, dass es auch für uns Sinn macht, sich mit diesem nachhaltigen Produkt zu beschäftigen. Übrigens haben wir dieses Jahr auch Lupinen und Sojabohnen angebaut, um uns an die Herstellung anderer veganer Produkte heranzutasten.
Was viele unserer Kunden ebenfalls wundert, ist die Tatsache, dass wir unsere Produkte in Kunststoffgefäße abfüllen. Und das obwohl sich Müllberge aus Kunststoff bis zum Himmel türmen und die Meere dramatisch mit Mikroplastik verschmutzt sind. Dazu auch noch der Klimawandel als Folge der Verbrennung von Öl aus welchem ja auch Kunstoffe hergestellt werden. Wenn es jedoch einen sinnvollen Einsatzbereich für den eigentlich aus der Natur stammenden Rohstoff Öl gibt, dann für die Herstellung von langlebigen, robusten Kunststoffteilen zu denen auch Mehrwegverpackungen zählen.
Aktuell ist der Naturmilchhof übrigens auch wieder Zentrum der Dorfgespräche. Mit dem Bau unseres Seminargebäudes mit angeschlossenen Verarbeitungsräumen für verschiedene Lebensmittel (siehe "unser Dorfprojekt") wollen wir versuchen, den Menschen und vor allem Kindern eine ursprüngliche, gesunde und nachhaltige Ernährung zu vermitteln. Gleichzeitig soll dort ein neues Zentrum des aktiven Dorflebens entstehen.
Für interessierte Leser gibt es noch vieles mehr zu stöbern auf unserer Internetseite. Von der Arbeit mit Menschen mit Handicap auf unserem Hof über Themen wie Die Kuh als Klimakiller oder Die Ernährung der Weltbevölkerung und vieles mehr. Es lohnt sich ab und zu wieder einmal nach neuen Texten zu schauen, denn wir können die Füße nicht still halten und haben noch ein paar Projekte in Arbeit. Nur so viel sei verraten - das Abgefahrenste kommt noch...
Was viele unserer Ideen gemeinsam haben, ist der Gedanke auf Ursprüngliches und eigentlich lang Bewährtes zu setzen. Nur sind uns viele Dinge in dieser schnelllebigen Zeit so weit entfremdet, dass es schon fast absurd erscheint, an ihnen festzuhalten. Doch seit wir den Schritt zur Umstellung auf Ökolandbau gewagt haben, sind wir tagtäglich so von der faszinierenden Logik der Natur begeistert, dass es eigentlich ganz einfach ist: Wir können der Natur vertrauen, sie macht keine Fehler! Alles hat seinen Sinn, man muss ihn nur verstehen. Und das kann man am besten, wenn man die Natur liebt - so wie wir.
P.S.: An dieser Stelle möchten wir auch einmal erwähnen, dass Sie beim Kauf von Bioprodukten unbedingt auf das Biosiegel achten sollten. Im Landkreis sind nämlich einige Trittbrettfahrer unterwegs, bei denen nur ein paar Fotokühe auf die Weide dürfen.